| Im Jahre 1958 wurde dann
noch das Werk Heidelberg erworben. Die ursprüngliche
Grundfläche betrug hier 196.663 qm. Durch Zukauf und
Verkauf ist sie inzwischen aber auf 216.732 qm
angewachsen. Das Werk Heidelberg ist also in seiner
räumlichen Ausdehnung wesentlich größer als das
Neusser Werk einschließlich Konstruktions- und
Entwicklungs- Centrum. Meinen Eintritt in die IH am 6. April 1922 verdanke ich einem reinen Zufall. Anläßlich einer Werksbesichtigung, die an einem Freitag stattfand, erhielt ich nämlich das Angebot, schon am nächsten Montag in die Organisation einzutreten. Ich tat es, womit dann auch das für einen Arbeitsbeginn ungewöhnliche Einstellungsdatum begründet wäre. Ich hatte gerade mein lngenieur-Examen bestanden, und meine Absicht war es, in die Automobil-Industrie zu gehen, da ich während des Studiums eine große Vorliebe für Motorenbau entdeckt hatte. Aber auch die Vorlesungen in Betriebslehre, speziell über Zeitstudienwesen, das für die damalige Zeit eine ganz neue Sache war, interessierte mich sehr, und so glaubte ich daß in der Automobil-Industrie meinen 1nteressen am besten Rechnung getragen würde. Während des Betriebsbesuchs kam rein zufällig das Gespräch auf meine Zukunftspläne, und der damalige Werksleiter, ein Mr. Hagberg, machte mir sofort das Angebot, bei ihm anzufangen, da er gerade dabei sein, ein sogenanntes Efficiency-Department zu gründen, wozu ihm nur noch die geeigneten Leute fehlten. Um mir nicht zuviel Bedenkzeit zu lassen, bestand der auf dem folgenden Montag als Arbeitsbeginn. Wie verabredet war ich also am vereinbarten Tage zur Stelle. Nicht zur Stelle waren indessen die auch nur primitivsten Hilfsmittel, um eine solche Arbeit erfolgreich beginnen zu können, denn außer einem Buch von Taylor über die Grundlagen des Zeitstudienwesens und einigen von der IH-Organisation in den USA schon benutzten Formularen gab es buchstäblich nichts, selbst Stuhl und Tisch zum Arbeiten fehlten. 1ch bekam daher den Auftrag zuerst einmal eben neu eingegangene Werkzeug-Maschinen aufzustellen, ein Auftrag, der nicht besonders dazu beitrug, meine Begeisterung zu heben. Und da nach 2 Monaten die schon längst bestellten Büromöbel noch immer nicht geliefert waren, schritten wir zur Selbsthilfe, schickten Packholzbretter durch den Dicktenhobel und nagelten sie auf Reaperkopf-Kisten. Ein Stuhl fand sich schließlich ebenfalls, so daß eines Tages doch die eigentliche Arbeit beginnen konnte. Da die Bezeichnung Efficiency-Department kein guter Begriff für den Betrieb war, wählten wir den Namen Betriebs-Abteilung und umrissen unsere Tätigkeit mit Planung, Arbeitsvorbereitung, Zeitstudien und Verbesserungswesen. Heute wird dieses Gebiet von mehreren selbständigen Abteilungen bearbeitet. Ihre Namen Advance Planning, Planning, Rates & Methods und Value Analysis. Zugegeben, daß wir heute eine viel größere Produktion, häufigeren Typenwechsel und damit verbunden auch mehr Arbeit und Probleme haben, aber manchmal beschleicht mich doch das Gefühl, daß das sogenannte Parkinsonsche Gesetz nicht nur eine Behauptung oder ein Witz ist. Die Anlaufschwierigkeiten dieser neuen und ungewohnten Abteilung waren riesengroß, denn zu Anfang gab es nur Widerstand, beginnend schon bei den Abteilungsleitern und Meistern, die sich in ihren Befugnissen beschnitten sahen, bis zu den Arbeitern, deren besonderes Mißtrauen wir auf uns zogen und die zu Anfang grundsätzlich zu allem im Widerspruch standen. |
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| Vor allen Dingen brachten
sie kein Verständnis dafür auf, daß für eine
unterschiedliche Art der Arbeit auch eine
unterschiedliche Bewertung gemacht werden müsse. Bedingt durch all diese Schwierigkeiten war es ein Problem, geeignete junge Leute zu finden, die Willens waren, all diese Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen. Aber bekanntlich sind Schwierigkeiten dazu da, um überwunden zu werden - und zurückgesteckt haben wir nichts. Dafiir wurden wir aber im Juli 1923 gezwungen, bedingt durch die Ruhraktion der französischen Besatzungsmacht, den Betrieb zu schließen. Nur eine kleine Gruppe blieb als Stammpersonal übrig, und die mußte alle anfallenden Arbeiten wir Werkschutz und Materialentladung ausfuhren. Ich selbst war längere Zeit Werkschutzmann in der Nachtschicht und später Lockführer, denn Material kam noch verhältnismäßig viel herein. Man muß berücksichtigen, daß wir damals mitten in der schlimmsten Zeit der Inflation steckten und daß zum Schluß für 1 US $ 4,2 Billionen Mark bezahlt wurden. Da man in USA die Größenordnung Milliarden nicht kennt, muß man hier 1 US $ gleich 4,2 Trillionen setzen. Was blieb also anders übrig, als zu versuchen, Material zu horten, um der Geldentwertung zu entgehen. Geld wäre nach wenigen Wochen - später sogar nach wenigen Tagen - zu wertlosem Papier geworden. Doch mit Ende der Ruhraktion im März des Jahres 1929 und mit der Umstellung des Geldes auf eine sogenannte Rentenmark war auch dieser Spuk vorbei und die Produktion konnte wieder beginnen. Während der Stillegungszeit beschäftigten wir uns auch zum erstenmal mit der Untersuchung, ob die Selbstfertigung von Schrauben und Muttern dem Zukauf gegenüber wirtschaftlich gerechtfertigt ist. Die gleiche Frage stellten wir uns hinsichtlich der Herstellung von Kaltzugmaterial. Derartige Arbeiten sind heute eine solche Selbstverständlichkeit, daß die Erwähnung für den Eingeweihten absurd erscheinen mag, aber damals in der Anfangsstufe hatten sie eine ganz andere Bedeutung. Die Untersuchungsergebnisse für diese beiden Fälle waren so positiv, daß die daraufhin beschafften Anlagen bis von wenigen Jahren noch in Benutzung waren. In der Zeit der Produktions-Unterbrechnung arbeiteten wir auch ein sogenanntes Vorschlagssystem mit Prämienzahlung für die Arbeiter aus, und der Wiederaufnahme des Betriebes ließen wir es dann gleich wirksam werden. Aber auch diese Neueinrichtung erlebte zu Anfang von allen Seiten nur Widerstand, der sogar bis in die Inspektion und Konstruktion reichte. Wahrscheinlich standen dort geheiligte Rechte mit auf dem Spiel. Um das Eis zu brechen, habe ich anfangs so viele Vorschläge wie eben möglich selbst gemacht, bis man sich allmählich auch an diese Neuerung gewöhnt hatte. Es kam zu einer Entwicklung, die bis zum heutigen Tage angehalten hat. Seit Anbeginn dieser Einrichtung sind bis Ende 1966 5.951 Vorschläge eingereicht und 2.970 davon angenommen und prämiert worden. Mit der Wiederaufnahme der Arbeit begann auch der Bau des ersten Binders. Bekanntlich wird für den Binder viel Temperguß benötigt, den wir anfangs von deutschen Gießereien kauften, und für Teile, deren Formmodelle sehr teuer waren, sogar von Amerika bezogen. Unser nächstes Bestreben ging darauf aus, den Temperguß selbst zu machen. Da wir aber keine Tempergießerei hatten, kamen wir auf die Idee, die Graugußgießerei mitzubenutzen, indem wir vormittags Temperguß bzw. Hartguß erschmolzen und nachmittags aus dem gleichen Kupolofen den Grauguß gewannen. Uns fehlte natürlich auch eine Temperei, die indessen unser Nachbar auf dem gegenüberliegenden Hafenbecken besaß, die Nationale Radiator Co., unbenutzt sogar. |
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| Wir trafen daher die
Vereinbarung, für die Radiator Co. die Nippel zu
produzieren, die sie für ihre Heizkörper benötigten,
wofür wir dann die leerstehende Temperanlage benutzen
durften. Alles lief soweit recht gut, nur zeichnete sich
bei immer größer werdender Produktion eine derartige
Raumknappheit in der Gießerei ab, dass an der Nordseite
ein einfacher Anbau aus Holz errichtet werden musste. Der
Bau war so einfach gehalten, dass er auch gleich den
Spitznamen der Stall bekam, den er bis zu
seinem Abbruch, Jahre nach dem Krieg, behielt, denn im
Krieg gab es kaum ein Gebäude unserer Fabrik, das nicht
irgendwie Schaden genommen hat, nur der Stall
blieb von allem verschont. Durch den verlorenen Weltkrieg 1 standen die großen Rüstungsbetriebe plötzlich vor einem Nichts. Wollten sie nicht untergehen, mußten sie sich auf andere, auf zivile Produktionen umstellen. Nur so konnten sie weiterleben. Eine derartige Firma war auch der Großbetrieb Rhein-Metall in Düsseldorf, der sich entschloss, auf Landmaschinen-Fabrikation umzustellen, was zur Folge hatte, dass man eine größere Anzahl von Leuten bei uns abwarb, darunter den Gießereileiter, Laborkräfte und den Leiter der Kostenabteilung. Zu allem Unglück starb auch noch der einzige Gießerei-Meister, den wir besaßen. Damit war unsere Gießerei ohne jede Leitung. Wie sollte da die Arbeit weitergehen? Zunächst bekam die Betriebs-Abteilung den Auftrag, die Gießerei weiterzuleiten wie sie überhaupt schon so allmählich die Feuerwehr für alle Schwierigkeiten geworden war. Etwas Gutes hatte diese Sache, wir erlangten schnell den Respekt des ganzen Betriebes und lernten viel dabei. Allerdings, die kommissarische Leitung der Gießerei währte nicht lange, denn Ende 1924 kamen plötzlich Amerikaner, Schweden und Norweger bei uns an, die aus unserem, von den Russen enteigneten Werk Lubertzy bei Moskau kamen. Unter ihnen waren auch Gießereileute, die dann bei uns blieben. 1925 hatten wir dann wiederum eine starke Aufwärtsentwicklung und damit verbunden einen immer stärker werdenden Platzmangel. Um das Geld wertbeständig anzulegen, hatten wir zwar in den Jahren 1922 - 1923 ein viergeschossiges Produktionsgebäude erstellt, das Schreinerei, Bindertuch-Fertigung und Holzanstreicherei aufnahm, und ebenso ein viergeschossiges Lagerhaus, aber der wirkliche Engpass war die Gießerei und daher entschloss man sich im Jahre 1925, eine vollständig neue Tempergießerei mit Putzerei, Temperei und Temperguß- Bearbeitung zu erstellen, In der Temperei haben wir dann den ersten in Deutschland gebauten kontinuierlich arbeitenden Temperofen installiert, der anfangs noch mit Kohle beheizt wurde, später aber auf Gasbeheizung umgestellt wurde. Er hat uns bis zur Stillegung der Tempergießerei im Jahre 1960 beste Dienste geleistet. Überhaupt begannen wir schon in den Jahren 1927 28 vom Teeröl als Heizmedium auf Gasbeheizung überzuwechseln, besonders in der Schmiede, der Härterei und der Messerabteilung. Im Prinzip hatten wir schon den richtigen Weg gefunden; da aber die Gaszuleitungen einen viel zu geringen Querschnitt besaßen, zogen wir den Anwohnern im Hafengebiet das Gas buchstäblich unter dem Kochtopf weg. So blieb uns eine Nutzanwendung im Großen versagt. |
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| Erst Mitte der 30iger Jahre
bekamen wir, in Zusammenarbeit mit den städtischen
Gaswerken und der Ruhrgas AG in Essen, unsere eigene
Gasleitung, und ab 1936 vollzog sich die völlige
Umstellung auf Gas unter Aufgabe der Verwendung von
Teeröl sehr schnell. Im Jahre 1925 wurde ich zum Leiter der Betriebs-Abteilung, ernannt. Zu dieser Zeit war die Abteilung schon eine Einrichtung gewordendie sich aus dem Betrieb nicht mehr wegdenken ließ. Nun gingen wir auch daran, sie zu einem Reservoir für neu zu besetzende Stellen im Betrieb zu machen, weil durch den Fortschritt der Technik Leute mit guten theoretischen Kenntnissen benötigt wurden. Praktische Erfahrung allein genügte nicht mehr. Aus dieser Zeit wäre auch noch die Flutkatastrophe zu erwähnen, die sich in der Sylvesternacht 1925 auf 1926 ereignete und die sich gottlob seitdem nicht wiederholt hat. Am Neujahrstag stand das Wasser ca. 1/2 Meter über Fabrikstra0en-Niveau und damit auch in allen Hallen. Trotzdem war es uns durch schnell zusammengeklemmte Doppelbohlen mit dazwischen eingestampAer Lehmmasse, die wir an den Treppenaufgängen wasserfrei blieben. Das Nordende unseres Fabrikgeländes war damals noch nicht in seiner ganzen Fläche auf Stra0en-Niveau-Höhe aufgefüllt, und hier ereignete sich trotz Sandsack-Barrikaden ein Dammbruch, durch den der Schreinerei-Keller in Minuten überschwemmt wurde. Die hier in großer Menge gelagerten angearbeiteten Holzteile brachten die Gefahr mit sich, daO sie bei dem starken Auftrieb die Kellerdecke hätten sprengen können. Wir schaAten, so schnell es ging und bis weit über die Knie im Wasser watend, beladene Fahrzeuge und Karren als Gegengewicht auf die Decke. Nach Abzug des Hochwassers und nach Auspumpen des Kellers sah es darin fürchterlich aus. Die Hölzer hatten die unter der Decke verlaufenden großen Absaugrohre Air Holzspäne wie zerknittertes Papier zusammengedrückt. Diese Flutkatastrophe hat uns au0erdem für lange Zeit in der Produktion stark behindert, denn die meisten unserer Fabrikationsgebäude hatten zu dieser Zeit als Fu0boden ein Holzpflaster, das bei der Holzdeichselfertigung als Abfall kostenlos anfiel. Dieses Pflaster war nun gequollen und hatte dabei auch die stärksten und schwersten Werkzeugmaschinen aus den Verankerungen gerissen und sie somit vollständig aus dem Lot gebracht. Monatelang haben wir daran gearbeitet, diese Folgeschäden zu beseitigen. Ab 1928 nahmen wir immer stärker werdenden Kontakt mit unseren französischen und schwedischen Schwesterwerken auf. In diesem Jahr war ich auch für eine längere Zeit in unserem Werk Norrköping tätig, um dort beim Aufbau der Zeitstudien-Organisation zu helfen. Auch mit unserem Schwester-Werk Croix, das die gleichen Maschinen-Typen wie wir in Neuss baute, begann ein Erfahrungsaustausch in Bezug auf Vorgänge, Vorgangszeiten und - Materialbedarf für die verschiedenen Katalog,-Nummern in großem Umfang. Dieser Austausch brachte beiden Seiten enorme Vorteile, und ich erinnere mich eines Falles, wo Croix bei der Herstellung von Stahl-Doppelfingern durch Änderung des Materials - von Flach- auf Rundstahl und entsprechende -Änderung der Fallhammer-Matrizen 200 Tonnen Material im Jahr einsparen konnte, wozu noch die Tatsache kam, da0 Rundstahl wesentlich billiger war als Flachstahl. Es blieb natürlich nicht aus, daß wir durch diese Vergleichsarbeiten sehr häufig auch mit dem Betriebsrat in konflikt kamen, zumal wir in dieser Zeit einen sehr stark kommunistisch beeinflußten Betriebsrat hattenm der monatlich ein Hetzblatt mit dem Titel: Der Harvester- Prolet vor dem Fabriktor verteilte. In diesem Blatt war auch ständig eine Abhandlung über die |
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| Prinzengarde, so
wurden die Mitglieder der Betriebs-Abteilung bezeichnet,
zu lesen. Daß diese Abhandlung kein Lob für uns war,
versteht sich von selbst. Obwohl wir durch den Tempergießerei-Neubau mehr Platz in der Graugießerei gewonnen hatten, reichte dieser für die stark ausgeweitete Produktion dennoch nicht mehr aus. Die ersten Versuche einer Mechanisierung des Gießereibetriebes begannen. Als Versuchsobjekt wählten wir die Mäher-Haupträder aus, die damals in ganz besonders großer Stückzahl benötigt wurden. Wir bauten die ersten Rollbahnen, verbunden mit einer Ausleerstelle, und die wiederum verbunden mit Sandmischern, Förderband und Sandbunker. Auch einen Sandslinger bauten wir ein, wurden damit aber nicht glücklich und stellten schließlich erfolgreich auf Rüttelformpressen um. Auf der anderen Seite des Hauptweges behielten wir die alten Formmethoden für die gleichen Mäherräder bei, und es entspann sich bald zwischen den beiden Gruppen eine Rivalität, die man nur noch mit Leistungssport vergleichen konnte. 1933 setzte eine anfangs noch sehr zögernde Wiederaufnahme der Produktion ein, die dann aber ab 1934 eine sprunghafte Steigerung erfuhr, bis die Spitze im Jahre 1938 erreicht wurde (siehe auch Statistik im Anhang). Eigentlich gab es in diesen Jahren nichts von Besonderheit, denn neue Produkte wurden vorerst nicht hinzugenommen, da von Jahr zu Jahr die Materialbeschaffung schwieriger wurde, und schließlich wurde eine Materialzuteilung mit sogenannten Materialscheinen eingeführt. Im Jahre 1936 wurde ein weiteres vierstöckiges Lagerhaus gebaut, und in den Jahren davor war schon mit systematischem Geländekauf begonnen worden. So wurde die Futtermittelfabrik Jansen erworben, die Kohlenhandlung Winschermann kam hinzu, und zum Schluß ging noch ein Teil der Neusser Mehlmühle in das Eigentum der IH über. Das hierbei mit übernommene Gebäude wurde als Ersatzteillager eingerichtet, und auf das Freigelände davor wurde 1936 das jetzige Verwaltungsgebäude errichtet. Ursprünglich waren in diesem Gebäude der Einkauf und die Neusser Verkaufsfiliale untergebracht. Ein Großteil des Erdgeschosses war Ausstellungsraum. In das Jahr 1936 fiel schließ1ich noch der Baubeginn des ersten Abschnittes der neu angegliederten Traktorfabrik, und 1937 wurde der erste F-12 Traktor komplett in Neuss gebaut, das heißt also, auch Getriebe und Motor, der ein Vergasermotor für sogenannten TraktorentreibstofF war. Dieser Treibstoff war ein Mittelding zwischen Benzin und Dieselkraftstoff, eher ein Petroleum. Unser kommunistischer Betriebsrat war natürlich schon ab 1933 verschwunden, und auch die Gewerkschaften waren zu dem gleichen Zeitpunkt aufgelöst worden. Dafür bekamen wir aber dann eine andere Einrichtung, die D.A,F. (Deutsche-Arbeits-Front), die bestimmt nicht bequemer war. So kam die Betriebsabteilung nie aus ihren Schwierigkeiten heraus, besonders nicht bei den Vergleichs-Arbeiten mit anderen IHC-Werken, da solche Vergleiche als diffamierend für den deutschen Arbeiter bezeichnet wurden. Für die Betriebs-Abteilung, die ja die Unkosten-Überwachung und deren Zergliederung zu machen hatte, waren solche und ähnliche Sachen wie die vielen Betriebsappelle eine harte Nuß. Von 1934 bis August 1938 gehörte ich zum sogenannten Brüsseler Büro, einem Vorläufer der jetzigen Overseas-Division vom Chicagoer Main Office. Es war unsere Aufgabe, die verschiedenen europäischen Werke zu beraten, so zum Beispiel bei der Anschaffung von neuen Werkzeugmaschinen und sonstigen Einrichtungen. In Zusammenarbeit mit den Werks- Organisationen wurden Auslegungen von neuen Gebäuden und Fabrikationen geplant. Weiter zählte aber auch die Produktivitäts-Überwachung zu unseren Aufgaben. |
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| Das Werk Doncaster in
England wurde zum Beispiel in seinen Grundzügen fix und
fertig in Brüssel geplant, da es damals mit Ausnahme
einer Montage-Anlage in Liverpool nach keine Werks-Organisationen
in England gab. Ebenso wurde die neu anlaufende
Traktorfertigung in Neuss zusammen mit deren Fachleuten
in allen Einzelheiten vorgeplant und durchgeführt. Diese für mich sehr interessante Arbeit fand im August 1938 ein jähes Ende. Entscheidungen, die bei der IH getroffen werden, sind immer sofort wirksam - nicht anders in diesem Fall - . Die Benachrichtigung bekam ich samstags und die Versetzung zurück nach Neuss vollzog sich schon am nächsten Montag. Nach dem sogenannten
Münchener Abkommen war wohl allen amerikanischen
Mitarbeitern der Firma nahegelegt worden, sich auf eine
baldige Heimreise vorzubereiten. Ich als Deutscher hatte
eine dadurch in Neuss freiwerdende Stelle neu zu besetzen,
und zwar als Oberingenieur für den gesamten technischen
Fabrikbereich. Diese Aufgabe war sehr umfangreich, da die
verstärkt anlaufenden Luftschutzarbeiten und ähnliche
Maßnahmen auch sehr viel zusätzliche Arbeit brachten.
Dazu kamen die immer größer werdenden Beschaffungs-Schwierigkeiten
aller Materialien, denn inzwischen war die ganze
Industrie von der Regierung in Dringlichkeits- Stufen
eingeteilt worden, und wir als reine Landmaschinen- und
Ackerschlepper-Fabrik, ohne jedweden Rüstungsauftrag,
kamen natürlich unter ferner liefen. KRIEGS JAHRE Am ersten September 1939 fing der Weltkrieg II an. Da sich die Kriegshandlungen zunächst nur im Osten, das heißt in Polen, abspielten, hatten wir im äußersten Westen außer strengen Verdunklungsvorschriften weiter keine Erschwernisse. Bei Kriegsbeginn hatten wir eine Belegschaft von 2.887 Mann, die sich zwar durch Einberufung so waren zum Militärdienst 1.106 Mann allein bis Mai 1941 eingezogen worden zeitweilig etwas reduzierte, aber durch Neueinstellungen doch ziemlich konstant hielt. Im Anfang wurde der Ersatzbedarf durch deutsche weibliche Arbeitskräfte gedeckt, später aber mehr und mehr durch Fremdarbeiter (Zivilarbeiter und Kriegsgefangene). So hatten wir zum Beispiel im Januar 1945 immer noch einen Gesamtbestand von 2.409 Arbeitskräften, davon 1.567 Deutsche und 842 Fremdarbeiter. Die Arbeitszeit war während der ganzen Kriegszeit 60 Stunden pro Woche, und seit Ende der 30er Jahre verfügte die Regierung einen Lohn- und Gehaltsstop verbunden mit einem allgemeinen Preisstop, der sehr scharf überwacht und auch eingehalten wurde. Für Kriegs- und Rüstungsaufträge wurden wir nicht herangezogen, da unser Betrieb für die Sicherstellung der Ernährung wichtig war. Leider wurde aber dadurch unsere Dringlichkeitsstufen-Einteilung nicht geändert und die Materialbeschaffung wurde für uns das Problem Nummero Eins! Darüber hinaus wurde die Strom- und Gaszuteilung gekürzt. Die Folge war, daß wir einen Sparkommissar mit weitgehenden Vollmachten und dem Recht zu jederzeitiger Berichterstattung für diese Sparte einsetzten. Die Ergebnisse waren überraschend. Den richtigen Mann für eine solche Tätigkeit einzusetzen, dürfte auch noch in Friedenszeiten eine interessante und lohnende Sache sein, gleichgültig, um welchen Betrieb es sich handelt. |
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| Die Kriegs-Situation
änderte sich für uns schlagartig, als Anfang Juni 1940
der Westfeldzug begann, und in der Nacht vom 3. auf den 4.
Juni erlebten wir zum ersten Mal, was es heißt, im Krieg
zu leben und Bombenangriffen ausgesetzt zu sein. In dieser Nacht waren die ersten Bombenangriffe auf das Ruhrgebiet und anscheinend besonders auf Bahnanlagen gerichtet. Da Neuss ein Bahnknotenpunkt ist, und wir mit unseren Werksanlagen in der Luftlinie nur ca. 400 500 Meter von den Bahnanlagen entfernt sind, wurde durch die vielen zuerst abgeworfenen Brandbomben auch unser großer Holzplatz, der auf der Nordspitze unseres Werksgeländes liegt, mitgetroffen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir ca. 50.000 qm für die verschiedenen Katalognummern fertig zugeschnittenes und getrocknetes Holz, fast ausschließlich Hartholz, vorrätig. Diese enorme Menge ist in einer Nacht restlos den Flammen zum Opfer gefallen. Dazu natürlich alle Holzschuppen und sonstigen Einrichtungen. Durch diesen Riesenbrand fanden natürlich nachfolgende Bomber-Verbände ein weithin sichtbares Ziel und warfen nun in großer Zahl Sprengbomben ab. So wurde zum Beispiel unsere in der Nähe des Holzplatzes befindliche Garage mit allen Fahrzeugen und das darüber befindliche Modellager getroffen und restlos vernichtet. Bei den Modellen war es ein Schaden, unter dem wir noch Jahre später zu leiden hatten. Das daneben liegende Kesselhaus wurde durch Bombensplitter in Mitleidenschaft gezogen, blieb aber wenigstens funktionsfähig. Glück hatten wir auch insofern, als eine Reihe von Sprengbomben wie mit der Schnur ausgerichtet auf die Hauptfabrikstraße fielen und dadurch nur Schaden an Kabeln und sonstigen Versorgungsleitungen verursachten. Schlimmer sah es schon in der Bindegarnfabrik aus. Die Oberetage des dreistöckigen Gebäudes war an einer Stelle getroffen worden, und an der direkten Einschlagstelle waren alle Decken bis zur Parterre zerstört, dazu die an dieser Stelle stehenden Maschinen. Viel schlimmer war jedoch, daß auch das unmittelbar neben der Bindegarnfabrik liegende und diesen Fabrikteil versorgende Trafohaus durch einen Volltreffer restlos vernichtet worden war. Trotzdem, innerhalb einer Woche hatten wir ein Ersatztrafohaus errichtet, und die Spinnerei konnte wieder arbeiten. Die Trafos wurden uns vom RWE geliehen, bis eigene neu beschafft worden waren. Bei diesem ersten Bombenangriff haben wir auch dann gleich gelernt, was der mit einer Bombenexplosion verbundene Luftdruck an katastrophalen Auswirkungen haben kann. Diese Luftdruckschäden waren gewöhnlich viel schlimmer als diejenigen, die durch die Sprengbombentreffer entstanden. Natürlich konnten bei solchen Bombentreffern auch große Gebäudeschäden entstehen, die Maschinenschäden hingegen blieben fast immer unbedeutend. Brandschäden machten uns vieI größere Sorgen. Bei diesem ersten Luftangriff hatten wir eine große Anzahl Sprengbombentreffer, und im ganzen Werk gab es kaum noch eine unversehrte Fensterscheibe. Ebenso waren Holzzwischenwände durch den Luftdruck zerstört, und mit Dachziegeln eingedeckte Dächer waren abgedeckt worden. Erstaunlich war, wie am nächsten Morgen die ganze Belegschaft mit größtem Eifer daranging, ihren Arbeitsplatz wieder halbwegs herzurichten und mit der Produktion zu beginnen. Was uns am meisten in den folgenden Tagen gestört hat, war die nicht abreißende Besucherwelle von Partei, Wehrmacht und sonstigen Behörden, die unseren Schaden wohl als Übungsfall verwerten wollten. Jeder hatte seine Fragen, die er von der zuständigen Stelle genau beantwortet haben wollte.
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| ( Seiten 17 - 24 ) KRIEGSENDE UND WIEDERAUFBAU Die vollständige Arbeitsunterbrechung kam vielmehr erst am 27. Februar und diesmal nicht durch feindliche Bombenangriffe, sondern durch die deutsche Wehrmacht aufgrund des sogenannten Führerbefehls der verbrannten Erde. Ich wurde morgens zum Stadtkommandanten hinbestellt, der mir einen Befehl vorlas, wonach das Werk sofort so zu zerstören sei, daß ein Weiterarbeiten nicht mehr möglich sei, widrigenfalls ....... und so weiter. Meine Einwendung, wir seien doch schon so gut wie zerstört, galt nicht, denn ich mußte zugeben, daß wir bis jetzt noch immer weitergearbeitet hatten, trotz aller Zerstörung. Bis zum Nachmittag mußte Vollzugsmeldung gemacht werden. Die ausländischen Arbeitskräfte wurden sofort Richtung Osten über den Rhein gebracht, und unsere deutsche Belegschaft mußte sich beim Volkssturm melden. Für uns entstand nun die schwerwiegendste Frage, wie eine solche Vollzugsmeldung machen zu können, ohne dabei die Unwahrheit sagen zu müssen, aber andererseits die Zerstörung, die weiß Gott schon groß genug war, nicht noch weiter zu vergrößern. Wir glaubten schließ1ich mit einem Gedanken den Stein der Weisen gefunden zu haben. Wie schon erwähnt, hatte unsere große zentrale Kraft- und Schaltanlage keinen Schaden genommen, und wir gaben daher die Anweisung, diese Anlage unbrauchbar zu machen, worunter wir verstanden, daß sämtliche Hauptsicherungen zu entfernen und zu vernichten seien. Unter Vernichten verstanden wir, sie verschwinden zu lassen, indem wir sie in den Hafen warfen. Diese Entscheidung haben wir später bei der Wiederaufnahme der Arbeit sehr bereuen müssen, denn nun fehlten uns diese Sicherungen, und die Herstellerfirmen solch großer Sicherungen lagen alle in Berlin, und das wiederum lag für uns, zur damaligen Zeit, so gut wie auf dem Mond. Bei irgendeiner Elektrofirma haben wir sie schließlich dann doch noch bekommen können, aber es hat eine ziemliche Zeit gekostet. Nachmittags gab ich dann beim Stadtkommandanten Vollzugsmeldung, daß das Werk hundertprozentig produktionsunfähig gemacht worden sei. Der Kommandant war ein Major der Reserve und hatte, wie er mir früher einmal erzählt hatte, selbst eine Fabrik in der Nähe von Braunschweig. Er hat mich bei der Meldung nur angesehen, aber Fragen hat er keine mehr gestellt. Damit hatte die Sache für uns zwar ihre Erledigung gefunden, aber nun war für uns auch wirklich das Ende fur jede Weiterarbeit gekommen. Dieses Problem hat aber auch aus anderen Gründen keinen langen Bestand gehabt, denn bereits am nächsten Tag näherten sich die ersten amerikanischen Panzer vorsichtig dem Stadtgebiet Neuss, und die Besetzung der Stadt erfolgte in der darauffolgenden Nacht. Damit begann ein weiterer Abschnitt des ganzen Kriegsgeschehens. Ich selbst wohnte in Düsseldorf-Oberkassel und lebte zu der Zeit in einer kleinen Zweizimmerwohnung, die mir durch das städtische Wohnungsamt zugewiesen worden war, denn meine eigene Wohnung war bei einem Tagesangriff am 10. Januar 1945 durch Volltreffer |
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| zerstört worden. Der
rechtmäßige Eigentümer dieser kleinen Wohnung war zur
Wehrmacht eingezogen worden und seine Frau war evakuiert,
die Wohnung somit unbenutzt. Als ich an diesem Tage nach
Hause kann, stand ich der Wohnungseigentümerin, die aus
dem Osten wieder nach Düsseldorf zurück geflüchtet war,
gegenüber. Sie war hell empört, daß ein Fremder in
ihrer Wohnung lebte. Einwände, daß es sich um eine
Einweisung durch das Wohnungsamt handelte, ließ sie
nicht gelten. Ich habe also meine wenigen Sachen genommen
und bin zu Bekannten gegangen, was aber auch keine Bleibe
für längere Zeit sein konnte. Am nächsten Morgen fuhren schon keine Straßenbahnen mehr nach Neuss. Mein Versuch, mit dem Fahrrad hinzukommen, scheiterte auch, weil kurz von Neuss von einer höher gelegenen Brücke aus auf alles, was sich bewegte, geschossen wurde. Ich mußte also wieder zurückfahren, und da ich in Oberkassel keine Bleibe mehr hatte, fuhr ich zu Bekannten, die auf der rechten Rheinseite wohnten und noch über eine größere Wohnung verfügten. Ich blieb dort die nächste Nacht, aber als ich am darauffolgenden Morgen mit dem Fahrrad wieder nach Oberkassel fahren wollte, wurde ich an der Brückenauffahrt schon nicht mehr durchgelassen, und kurz darauf wurde auch die Brücke, die Düsseldorf mit Oberkassel verbindet, von der deutschen Wehrmacht gesprengt. Ich saß also in einer Falle und konnte nur noch versuchen, mich mittels meines Fahrrades zu meinen Eltern, die 90 km südöstlich von Düsseldorf in den Bergen wohnten, durchzuschlagen. In zwei Tagen hatte ich es geschafft. Einige Tage später wurden wir auch dort von den aus dem Raume Remagen vorstoßenden amerikanischen Truppen überrollt. Mein Glaube, nun auch in einigen Tagen in Richtung Düsseldorf ziehen zu können, war ein großer 1rrtum, denn da auch inzwischen ein Rheinübergang an der deutsch-holländischen Grenze geschaffen worden war, gingen die alliierten Truppen nördlich und südlich am Ruhrgebiet vorbei, schlossen es im Osten ein und rollten es dann von Osten nach Westen auf, wobei Düsseldorf buchstäblich die letzte Stadt war, die besetzt wurde. Die ganze Operation dauerte fast 6 Wochen, und es gab keine andere Möglichkeit, als zu warten. Als ich dann in der zweiten Maiwoche wieder in Düsseldort eintraf, wurde ich zuerst einmal durch ein Flüchtlingslager geschleust und ausgiebigst mit D.D.T. behandelt. Danach konnte ich den Rhein auf einer Pontonbrücke südlich von Neuss überqueren und kam schließlich über Neuss zurück nach Oberkassel in meine richtige Heimat. Nur fehlte dort nach wie vor eine Wohnung. Für mich gab es aber eine noch viel vordringlichere Frage, nämlich die, was ist mit der IH inzwischen geschehen? Am nächsten Morgen fuhr ich also mit dem Fahrrad wieder in Richtung Neuss. Diesmal kann ich zwar ohne Schwierigkeiten in die Stadt, aber nicht zur IHC, denn die Brücke, die die Stadt mit dem Hafengebiet verbindet, war auch sinnlos gesprengt worden. Zwar lag unmittelbar neben der Brücke ein etwa ein Meter dickes Gasrohr, über das man hinweg balancieren konnten - später wurde sogar ein Gehsteig darauf gebaut , aber vor dem Gasrohr stand ein Militärposten, der nur Personen mit einem Sonderausweis passieren ließ. Um diesen Ausweis zu bekommen, habe ich mich einen ganzen Tag bemüht, und erst am nächsten Morgen konnte ich ihn abholen. Dann endlich konnte ich zur IH durchkommen, und ich muß ehrlich gestehen, meine Erschütterung beim ersten Anblick der ganzen Zerstörung weiß ich nicht mehr mit Worten zu beschreiben. Mein Glaube, daß wir dies jemals wieder in eine brauchbare Fabrik umwandeln könnten, stand innerlich auf sehr schwachen Füßen. Wenn verantwortliche Personen vom Chicago Main Office, denen ja sowieso Erfahrungen in der Beurteilung großer Kriegszerstörungen fehlten, entschieden hätten, laßt alles liegen, es hat keine Zweck mehr, es wäre verständlich gewesen. Bei anderen ausländischen Firmen hat die Entscheidung in der Tat so gelautet. |
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| Ab Mitte Mai meldeten sich
mehr und mehr Leute zurück, um ihren Arbeitsplatz wieder
einzunehmen. Inzwischen waren auch die amerikanischen
Truppen durch englische abgelöst worden, und wir
gehörten nun offiziell zur britisch besetzten Zone und
unterstanden einer Militärregierung für den zivilen
Bereich. Von ihr bekamen wir auch in der zweiten
Maihälfte das sogenannte Arbeitspermit, was besagte,
daß wir arbeiten durften, wenn wir konnten. Doch dieses
Arbeiten Können hing jetzt von mehr Faktoren
ab als je zuvor. Sicherlich würde es sich heute wie
Aufschneiderei anhören, wenn man von Einzelheiten und
Maßnahmen berichten würde, die damals absolut normal
und notwendig waren. Unsere Hauptfabrikstraße war zum Beispiel derart mit Trümmern übersäht, daß nur auf einem schmalen Trampelpfad hindurchzukommen war, und Fahrzeuge zum Abtransport des Schutts hatten wir überhaupt keine mehr. Unseren letzten 10/20 Traktor fand ich zwei Tage vor Kriegsende südlich von Düsseldorf an der Autobahnböschung liegen, er war von Tieffliegern beschossen worden. Als wir ihn im Mai holen wollten, war er weg. Jahre später fanden wir ihn durch Zufall bei einem Bauern, nicht weit von der Unfallstelle, er benötigte Ersatzteile von uns. Das Außengelände und erst recht das Innere der Gebäude war derart mit Schutt übersäht, daß die Verwendung von Motorfahrzeugen keinen Sinn hatte abgesehen davon, daß wir jetzt auch nicht einen Liter Brennstoff mehr besaßen. Wir fielen zurück auf den Ursprung eines jeden Handels, nämlich auf den Tauschhandel. Bezüglich Ersatzteile wurden wir von unseren Händlern geradezu überlaufen, und da wir noch über einen guten Vorrat an Ersatzteilen verfugten, konnten wir helfen, aber man mußte uns in manchen Fällen auch helfen, um weiterzukommen. Als allererstes benötigten wir ein starkes Pferd (einen sogenannten Belgier) mit einem nach hinten abkippbaren zweirädrigen Karren, einem sogenannten Schlagkarren. Ein Händler vom Niederrhein konnte uns bald beides beschaffen, natürlich gegen entsprechend viele Ersatzteile, und bald bewährte sich diese Pferd so gut, daß wir noch ein zweites samt Karren benötigten, um schneller in der Arbeit voranzukommen. Wir fanden schließlich dieses auch noch, und mit diesen beiden Pferden haben wir buchstäblich in monatelanger, ja in jahrelanger Arbeit unsere gesamte Fabrik innen und außen entschuttet. Die Zerstörungen, aber vor allen Dingen die Entwendungen, die noch in der Zeit unserer unfreiwilligen Arbeitspause erfolgt waren, hatten dazu geführt, daß uns auch das Primitivste fehlte. Wir hatten keine Werkzeuge, keine Werkzeugstähle, keine Schraubstöcke und vor allen Dingen keine Elektrowerkzeuge und kleinere Motoren mehr. Wir mußten uns alles erst irgendwie wiederbeschaffen, um einen bescheidenen Anfang in der Produktion zu ermöglichen. Rohmaterial an Stahl hatten wir noch genug, um gängige Ersatzteile zu fabrizieren. Verkauft haben wir nur gegen direkte Bezahlung, denn unser Bankkonto wurde von Tag zu Tag schmaler, Kredit aber gab es keinen, weil die Banken selbst kein Geld hatten. Wer hätte auch schon auf Kriegstrümmer Kredit gegeben? Im Juli 1945 war es soweit, daß unsere Kasse leer war, und wir nicht mehr wußten, wie wir unsere Löhne und Gehälter bezahlen konnten. Ich muß erwähnen, welch hohes Lob unsere damalige Belegschaft verdient, die trotz aller Unbillen treu zu uns hielt, obwohl man in jener Zeit während ein paar Stunden auf dem Schwarzmarkt mehr Geld verdienen konnte, als mit ehrlicher Arbeit in einer ganzen Woche. |
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- 20 - |
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| Bis zum Kriegsende hatten
wir unsere Verwaltung, d. h. Verkauf und
Finanzbuchhaltung, in Berlin-Tempelhof. Von dort wurden
der Fabrik die Produktionsaufträge, soweit es sich nicht
um Rüstungsaufträge handelte, erteilt und auch die
notwendigen Gelder überwiesen. Nun lag Berlin für uns
auf einmal in unerreichbarer Ferne. Von Angestellten der
Verwaltung, die sich nach der Besetzung Berlins durch die
Russen nach dem Westen durchgeschlagen hatten und nun bei
uns in Neuss waren, wußten wir, daß man noch in den
letzten Tagen versucht hatte, 6 Millionen Mark auf Banken
in Hamburg zu überweisen. Ob dies geglückt war, konnten
wir nicht ermitteln, denn eine Verbindung nach Hamburg
gab es nicht. Aber wir mußten dieses Geld bekommen, es
war die einzige Rettung für uns. Nur war die große
Frage: wie? Die einzige Verbindung nach Hamburg wurde nur
mit Kohlenzügen gebildet, und auf diesen offenen
Kohlenwagen saßen in dichten Trauben Menschen, die
irgendwohin wollten. Wie lange eine solche Kohlenzugfahrt
nach Hamburg dauern würde, wußte keiner zu sagen. Es
konnte Tage, aber auch ebensogut mehr als eine Woche
dauern. Eine solche Fahrt nach Hamburg schied also von
vornherein aus, zumal man auch nicht wußte, wie eine
Rückfahrt bewerkstelligt werden konnte. Es blieb also
nur die Möglichkeit, die Fahrt mit einem Auto zu
versuchen. Wir hatten uns, um überhaupt etwas
beweglicher zu sein, einen kleinen, mindestens 8 bis 10
Jahre alten DKW Zweizylinder Zweitakt-Wagen eingehandelt,
und es wurde beschlossen, mit diesem Wagen die Fahrt zu
machen. Ich wurde als Fahrer ausersehen. Um überhaupt fahren zu dürfen, mußte zuerst einmal ein Fahrbefehl beschafft werden. Bei derart großen Entfernungen war dafür nur die Militärregierung zuständig. Man sah dort ein, daß eine solche Genehmigung erteilt werden mußte, und theoretisch hätte die Fahrt nun eigentlich gleich beginnen können, praktisch sah alles jedoch ganz anders aus. Die Hauptsorge war, wie an Brennstoff kommen. Alle diesbezüglichen Bemühungen schlugen aber leider fehl. Übrig blieb nur die Möglichkeit, mit Lackverdünner zu fahren, denn davon hatten wir eigentümlicherweise einige größere Behälter aus der Kriegszeit übrigbehalten bzw. sie waren nachher nicht abhanden gekommen. Versuche hatten ergeben, daß ein Zweitaktmotor damit lief, wenn auch mit weniger Leistung. Allerdings sprang er damit nicht an. Starten mußte man auf folgende Art. Zuerst beide Zündkerzen herausschrauben, dann in beide Zylinder etwas Benzin gießen, schnell die Kerzen wieder einschrauben, starten, und bevor das bißchen Benzin im Zylinder verbraucht war, schnell auf Lackverdünner umschalten. Meistens war diese Methode erfolgreich, und wenn der Motor erst einmal warmgelaufen war, waren die Schwierigkeiten nicht mehr allzu groß. So bin ich mit einem halben Liter Benzin, das wir auf dem Schwarzmarkt erstanden hatten, nach Hamburg und zurück gefahren. Die übrige Menge Brennstoff war Lackverdünner. Ansonsten bestand meine Reiseausrüstung noch aus zwei Wolldecken, einigen Reise- Lebensmittelkarten, deren Wert aber sehr fraglich war, aus einigen Einmachgläsern Kartoffelsalat, Brot und etwas Wurst, aber die Hauptsache war eine Anzahl Packungen von Mähmesserklingen zu je 25 Stück. Sie konnten in dieser Zeit als Edelvaluta gelten. Zum Zeitpunkt, als diese Fahrt starten sollte, bestand noch für alle Zivilisten eine Sperrzeit von 9.00 Uhr abends bis 5.00 Uhr morgens. Ich fuhr also zum frühesten Zeitpunkt ab, um ja früh genug an der Pontonbrücke zum Rheinübergang zu sein, aber hier fing das Unheil schon gleich an, da an diesem Tage eine größere Militäreinheit verlegt und die Brücke fur jeden Zivilverkehr gesperrt wurde. Erst nachmittags um 3.00 Uhr kam ich mit dem ersten Schub rüber und hatte damit für die ersten 15 km zehn Stunden benötigt. Ich versuchte nun, für den Rest des Tages noch so weit wie möglich ostwärts zu kommen, teils auf der Autobahn, teils auf der Landstraße, da die meisten Autobahnbrücken gesprengt waren. Ich hatte Glück und war kurz |
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| vor der Sperrstunde nicht
mehr weit von Minden entfernt, der Stadt, in der damals
das Zivil-Hauptquartier der gesamten britischen Zone lag. Ich fuhr auf einen für die damaligen Verhältnisse gut aussehenden Bauernhof und fragte um Erlaubnis, im Heu übernachten zu dürfen. Aber ein Zivilist, der damals mit einem Auto fuhr, und im Heu schlafen wollte, war eine höchst verdächtige Angelegenheit, und selbst eine offerierte Packung Messerklingen half nicht weiter. Der Zufall brachte einen zweiten Mann hinzu, und schon war eine herzliche Begrüßung da, denn dieser zweite Herr war ein Ingenieur von Siemens in Berlin, und wir kannten uns schon lange. Er war der Bruder des Hofbesitzers und mit seiner Familie aus Berlin geflüchtet. Jetzt konnte ich also bleiben, an ein Schlafen im Heu war indessen nicht mehr zu denken. Vielmehr wurde ich zum Abendessen eingeladen, Zur Feier gab es frisch gebackene Forellen mit Kartoffeln und Salat in Sahne. Später brachte der Hausherr noch eine Flasche selbstgemachten Johannisbeerwein. Am nächsten Morgen war wieder Aufbruch um 5.00 Uhr, und lange dauerte es nicht, bis die rauhe Wirklichkeit sich wieder einstellte, denn nach kaum 5 km Fahrt ging die rote Warnlampe an, was hieß, daß die Batterie nicht mehr geladen wurde. Ich fuhr noch bis in die nahe Stadt Minden und fand auch bald dort eine DKW-Vertretung, wo man herausfand, daß eine spezielle Sicherheitspatrone in der Batterie-Ladeanlage durchgebrannt war, allerdings Ersatzpatronen gab es nicht mehr. Die einzige Hoffnung war, bei einer Bosch-Werkstatt nachzufragen, denn Bosch hatte schon vor einiger Zeit ein neues Ladeaggregat entwickelt, das ich mir würde einbauen lassen können, aber der Umbau sollte recht umständlich sein. Es gab in Minden eine Bosch-Vertretung, und man hatte das Aggregat auch vorrätig. Nur, die Werkstatt war beschlagnahmt, und Reparaturen an Zivilfahrzeugen durften nur gemacht werden, wenn keine Militärfahrzeuge zur Reparatur da waren. Der Hof stand leider voller Militärfahrzeuge. Trotzdem wandte ich mich an den Aufsicht führenden Leutnant und erzählte ihm meinen Fall. Ich hatte wieder einmal Glück, denn der gute Mann war Kanadier, stammte aus der Nähe von Hamilton, und die Harvester Company war ihm ein guter Begriff. Er gab Anweisung, mir zwischendurch zu helfen, und er bot mir in seinem Büro sogar Tee und Sandwich an. Wir haben uns dabei glänzend unterhalten aber es wurde doch Nachmittag, bis ich weiterfahren konnte, und es war ganz ausgeschlossen, daß ich an diesem Tag noch bis Hamburg kommen würde. In einem Dorf zwischen Bremen und Hamburg machte ich Station und versuchte, in einem Gasthof unterzukommen, jedoch ohne Bescheinigung vom Bürgermeisteramt war nichts zu machen. Das Amt hatte natürlich schon geschlossen, aber der Bürgermeister wohnte in nächster Nähe, und da er auch noch nebenbei Landwirt war, hatte ich mit Hilfe meiner Messerklingen bald die notwendige Bescheinigung und auch die Unterkunft. Am nächsten Morgen ging es in aller Frühe wieder weiter, um 8.00 Uhr war ich schon in unserer schwer in Mitleidenschaft gezogenen Hamburger Verkaufsniederlassung. Der Leiter der Filiale, Herr Piepenstock, war natürlich sofort bereit, in allem zu helfen. Laut Militärbefehl waren alle Großbanken aufgelöst und in kleinere zerschlagen worden. Es galt also zuerst einmal festzustellen, ob die Überweisungen von Berlin noch angekommen waren, und wenn ja bei welcher Bank sie sich befanden. Von der Gesamtsumme von 6 Millionen waren tatsächlich noch 5,4 Millionen angekommen und befanden sich nun in verschiedenen Banken. Für den nächsten Vormittag vereinbarten wir ein Treffen mit den Banken, denn den Nachmittag benötigten wir noch zu einem Besuch im Hotel Atlantik, wo Herr Professor |
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| Denker von der
landwirtschaftlichen Hochschule Bonn durch die
Militärregierung als Verantwortlicher für Food und
Agriculture, heute würden wir Landwirtschaftsminister
sagen, in der britischen Zone eingesetzt war. Er hatte
keinerlei Vorstellung, wie die Ernte, die unmittelbar
bevorstand, überhaupt eingebracht werden könnte, wenn
nicht wenigstens Ersatzteile zur Verfügung stünden. 1ch
versprach ihm, mit Ersatzteilen zu helfen, so gut es
ginge, aber für den Transport müsse er selbst sorgen,
was dann auch bald mit Hilfe von Militärfahrzeugen
geschah. Am nächsten Morgen fand dann der Besuch bei den Banken statt, denen meine Ausweise und Vollmachten genügten. Nun war die Frage, in welcher Form das Geld ausgehändigt werden sollte, in Form von Schecks oder eventuell in bar. Natürlich wären Schecks der einfachste und sicherste Weg gewesen, aber die Banken warnten selbst davor, da man keinesfalls mit Sicherheit sagen konnte, ob die Schecks wegen Geldmangel in Düsseldorf auch sogleich eingelöst werden könnten. Niemand hatte zu Hause daran gedacht, diese Frage mit den Banken zu besprechen, und so kamen wir schließlich zu dem Entschluß, halb und halb zu wählen, da wir das ganze Geld ja nicht sofort wieder ausgeben wollten. Während meines Hamburger Aufenthaltes, der ja über zwei volle Tage ging, wohnte ich bei unserem Herrn Piepenstock, und am darauffolgenden Tag, einem Freitag, startete ich wieder in aller Frühe zur Rückfahrt. Diesmal wollte ich nicht den gleichen Weg zurücknehmen, sondern von Hamburg aus durch die Lüneburger Heide direkt in Richtung auf Hannover zu fahren, um von dort aus dann die Westrichtung einzuschlagen. Während der ganzen Fahrt prasselte ein einziger Wolkenbruchregen auf uns nieder, aber der Wagen hielt tapfer durch, obwohl die Straßen mehr als schlecht waren und eher einer Mondlandschaft glichen. Unterweg kam ich durch viele Bauerndörfer, und mit fiel auf, daß jedes Haus eine weiß-rote Fahne gehißt hatte. Meine Meinung über diese Bauern war nicht gerade die beste, dachte ich doch, bei uns muß wohl immer eine Fahne gezeigt werden, und wenn es die Hakenkreuzfahne nicht mehr ist, dann eben die Kirchenfahne, denn als solche sah ich die heraushängenden Fahnen an. Erst als ich längst wieder zu Hause war, wurde ich belehrt, daß es sich hier um die polnische Nationalflagge gehandelt habe, denn die Dörfer waren von Polen besetzt. Ein Glück für mich, daß es an diesem Tage so ununterbrochen geregnet hatte. Abends gelangte ich noch bis in die Nähe von Hameln, aber damit war die Hälfte des Weges erst zurückgelegt. Diesmal fuhr ich gleich zum Pastor des Dorfes und bat um Übernachtung im Heu. Man bot mir auch eine Übernachtung in Hause an, aber ich zog es vor, bei meinem Wagen in der Scheune zu bleiben, denn von dem vielen Geld im Wagen konnte ich ja nicht gut erzählen. Der nächste Tag, ein Samstag, war nur ein halber Tag für mich, denn ab mittags durften Zivilfahrzeuge bis Montag früh nicht mehr fahren. Ich schaffte es aber noch bis zum Wohnort meiner Eltern und blieb dort über Sonntag. Am Montagmittag war ich mit allem wieder gut im Werk angekommen, und die Geldsorgen waren wir damit vorerst einmal los. Ich habe diese Episode nur deshalb erzählt, wie sie so typisch für die damalige Zeit ist. Heute, nach mehr als 20 Jahren, kann man sie kaum noch recht verstehen, aber damals stand auch hier wie hinter vielen anderen Dingen wieder das bekannte unverrückbare Muß, wenn man wieder Boden unter den Füßen haben wollte. |
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| Nun, wo mit einem Mal die
Situation eine ganz andere geworden war, konnten wir auch
Produktion und Wiederaufbau zur gleichen Zeit in Angriff
nehmen, jedoch an die Fertigung von kompletten Maschinen
konnten wir immer noch nicht denken, da uns zu viele
Stahldimensionen für bestimmte Katalognummern sowie auch
die gekauften Teile fehlten. Doch eines Tages kamen wir zu kompletten Maschinen, ohne es auch nur erahnen zu können, denn plötzlich standen ganze Kolonnen von Militärfahrzeugen voll beladen mit Maschinen-Kollis vor unserem Fabriktor, und tagelange folgten weitere Fahrzeugkolonnen. Von den Fahrern konnten wir nichts erfahren, sie verlangten nur Quittung für die Ablieferung und fuhren wieder ab. Aber an der Art der Maschinenverpackung konnten wir erkennen, daß sie von unserem Zentrallager in Magdeburg an der Elbe stammen mußten. Damit wurde es für uns sicher, daß die Russen weiter nach Westen rücken würden. Gerüchte dieser Art gab es schon länger. Die Materialbeschaffung für den Wiederaufbau wie Ziegelsteine, Zement, Glas, Kalk, Gips war ein Riesenproblem. So beschäftigten wir zum Beispiel ganze Kolonnen damit, den Zementmörtel von alten Ziegelsteinen abzuklopfen, um so die Steine wieder verwenden zu können. Holz fehlte uns vollständig, sowohl für den Wiederaufbau als auch in der Produktion für die Kistenfertigung. Es gab nur eine Lösung, nämlich die, das Holz in den kriegszerstörten Wäldern der Hocheifel selbst zu fällen. Eine von uns entsandte Kolonne hat fast ein Jahr lang diese Arbeit durchgeführt, die wegen der noch nicht beseitigten Minen und Blindgänger keineswegs ungefährlich war. Aber damit hatten wir das Holz noch nicht im Neusser Werk, und dieses Problem war noch größer als das Holz im Wald zu bekommen. Schließlich haben wir uns zwei Langholz-Transportwagen selbst gebaut, und mittels dieser Wagen und eines Straßenschleppers mit 40 km Maximal-Geschwindigkeit haben wir das Holz aus der Eifel nach Neuss geholt. Das letzte Problem war, wie die Baumstämme in Bretter zu zersägen. Holzsägewerke, die wir darauf ansprachen, wollten keine Sägelohn, sondern die Hälfte des Holzes behalten. Das paßte uns nun wieder nicht, und so haben wir uns kurz entschlossen selbst ein einfaches Horizontal-Gatter gebaut und darauf die Stämme in passende Bretter geschnitten. Da aber in den Stämmen sehr oft Eisensplitter steckten, die uns die Sägeblätter zerstörten, mußten wir uns auch noch eine Minensuchgerät organisieren, das wir eigentlich, da Kriegsgerät, gar nicht besitzen durften. Aber das alles war der einzige Weg, um an Holz zu kommen. Da wir die Traktorproduktion noch nicht wieder aufnehmen konnten, gaben wir Herrn Blum, der sonst Leiter der Produktion war, den Auftrag, in Zusammenarbeit mit dem Einkauf diese höchst schwierige Aufgabe der Materialbeschaffung zu lösen. Wie er es im einzelnen geschafft hat, weiß ich jetzt auch nicht mehr zu sagen. Damals wurde nicht allzuviel gefragt, Hauptsache, wir bekamen das, was wir so dringend benötigten. Zwei Fälle, die so besonders typisch waren, möchte ich hierbei nicht versäumen zu erzählen: Es war uns geglückt, eine Menge von 10 Tonnen Gips zu beschaffen, aber wir mußten sie selbst in Stadthagen kurz vor Hannover abholen. Herr Blum hatte Fahrbefehl, Dieselbrennstoff und |
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| einen zuverlässigen
Spediteur besorgt. Letzteres war damals auch sehr wichtig,
denn gewöhnlich lief ein Rad des Fahrzeuges für den
Fahrer des Wagens mit. Alles war soweit gut verlaufen,
bis das Fahrzeug am Samstagmittag wieder in Düsseldorf
ankam. An der linksrheinischen Abfahrtsrampe der Freeman-Bridge,
einer inzwischen verbesserten Pontonbrücke, stand
Neusser Polizei und beschlagnahmte die gesamte Ladung.
Ganz zufällig kam ich gerade in dem Augenblick hinzu,
als Polizei und Spediteur in heftigem Streit waren. Ich
griff natürlich mit ein und machte der Neusser Polizei
zunächst einmal klar, daß sie überhaupt kein Recht
hätten, auf Düsseldorfer Gebiet wirksam zu werden.
Außerdem verlangte ich den Beschlagnahmebefehl zu sehen,
den man mir auch nicht zeigen konnte, und nun bestand ich
darauf, daß die ganze Ladung zunächst einmal bei uns im
Werk bis Montag früh unter Verschluß gehalten würde.
Zur Sicherheit fuhr ich selbst mit nach Neuss. Am Montag
fanden wir bald heraus, daß das Bauamt der Stadt Neuss
hinter der Beschlagnahme steckte. Herr Blum brachte die
Sache schnell in Ordnung, denn er wußte, daß das Bauamt
schon seit einiger Zeit unsere abgelaufenen und
zurückgegebenen Fahrerlaubnisse nochmals zu seiner
Materialbeschaffung benutzte. In der Sache selbst wurde
alles still, wir behielten unseren Gips, und unser gutes
Verhältnis zur Stadtverwaltung hatte auch nicht gelitten. Der Winter 1945/46 war der längste und härteste seit Jahrzehnten. Der Rhein war schließlich vollständig zugefroren. Kein Wunder, daß die Belegschaft uns immer wieder bat, ihr doch etwas Heizmaterial zu beschaffen. Zu dieser Zeit beheizten wir unsere Kesselanlagen fast nur mit Braunkohle, hauptsächlich mit Braunkohlen-Briketts. Steinkohle, die ja einen wesentlich höheren Heizwert hat, gab es damals im Gegensatz zu heute für uns so gut wie gar nicht, und von unseren mageren Kohlebeständen konnten wir nicht auch noch abgeben. Herr Blum bekam daher den Auftrag, alles zu versuchen, um Briketts außer der Reihe zu beschaffen, und bald hatte er auch schon herausgefunden, daß der Leiter einer Brikettfabrik für seinen Betrieb einen Traktor benötigte. Herr Blum versprach, den Traktor zu liefern, wenn man uns pro Belegschaftsmitlied einen Zentner Brikett liefern würde. Sein Verhandlungspartner war ob dieser Bescheidenheit so gerührt, daß er von sich aus die Menge gleich verdoppelte. Für ihn kam leider bald eine unangenehme Überraschung, als er hörte, daß wir eine Belegschaft von 2000 Mann hatten. Trotzdem hat er sein Versprechen gehalten, wie wir das unserige auch, und die Hauptsache war, wir hatten unserer Belegschaft helfen können. So könnte man noch über viele Begebenheiten aus dieser Zeit berichten, aber der Zeitabstand ist inzwischen zu groß geworden, und solche Berichte würden schließlich auch den Rahmen dieser Niederschrift sprengen. Nur muß wohl noch über einen Fall berichtet werden, da er, bei gegenteiliger Entscheidung, ganz entscheidende Folgen für uns hätte haben müssen. Anfang 1946 wurde eine alliierte Kommission zur Überprüfung unserer Fabrikanlagen angemeldet. Wir hatten auf Anordnung eines Vorkommandos gewisse Vorbereitungen zu treffen und Unterlagen bereitzustellen, die wohl dazu dienen sollten, unsere Werksanlagen in Bezug auf eventuell überflüssige Maschinen zu überprüfen. Die Kommission bestand aus Amerikanern, Franzosen, Russen und Briten, wobei die letzteren, da wir ja in der britischen Zone lebten, den Vorsitz hatten. Das ganze damalige kaufmännische Büro war ausgeräumt worden und die Tische in großer U-Form aufgestellt. Im Innenraum des großen Us wurden zwei einfache Stühle aufgestellt, auf denen Herr Schneider und ich als die für das Werk Verantwortlichen wie arme Sünder oder sogar wie Angeklagte Platz zu nehmen hatten. Da der Gesundheitszustand von Herrn Schneider zu der Zeit ganz besonders schlecht war, fiel er bereits nach dem ersten Tag aus, da er der Verhandlung nicht mehr folgen konnte. Von da an stand nur noch ein Stühlchen in dem Innenraum, auf dem ich nun für eine volle Woche Platz zu nehmen hatte. |
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| ( Seiten 25 - 32) Die Verhandlungen, oder besser gesagt die Verhöre, fanden in deutscher Sprache statt, wobei jedes Mitglied der Kommission in seiner Muttersprache redete und Dolmetscher dann in 4 Sprachen übersetzten und das nicht immer richtig, wie ich bei der englischen Sprache selbst feststellen konnte. Und wenn ich einmal versehentlich eine Antwort in englischer Sprache gab, hatte das sofort einen scharfen Protest seitens der Russen zur Folge. Diese sehr umständliche und zeitraubende Methode hatte aber auch eine gute Seite, man gewann Zeit, die Antworten gut zu überlegen, denn der Sinn der ganzen Untersuchung war der, herauszufinden, ob wir für das von der Militärregierung festgelegte Fabrikationsprogramm zuviel Werkzeugmaschinen hatten oder nicht. Die Russen vertraten den Standpunkt, daß wir für die festgelegte Traktorenproduktion viel zu viel Maschinen hätten, und meine Aufgabe war es, anhand der verschiedensten Katalognummern, der notwendigen Vorgänge und deren Stückzeiten das Gegenteil zu beweisen. Die amerikanischen und französischen Mitglieder der Kommission zeigten überhaupt kein Interesse und beteiligten sich daher auch nicht an den Diskussionen. Sie waren eben nur anwesend. Das Hin und Her war nur zwischen den Russen und mir. Die Briten führten die Verhandlungen, waren dabei sehr objektiv, aber ansonsten auch nicht weiter interessiert. Am Ende der Woche stellte der Vorsitzende fest, daß die Angaben der Harvester wohl stimmen müßten und schloß die Sitzung. Für uns war das eine Erlösung und ein weiterer Ansporn, den Wiederaufbau und vor allen Dingen unsere Produktion noch intensiver zu betreiben, zumal wir ja nun auch bald den ersten Besuch von Chicago zu erwarten hatten, und dem wollten wir ja auch etwas zeigen können. Als erster besuchte uns Mr. Tautfest im Juli 1946, blieb aber nur für kurze Zeit und kam dann Anfang 1947 zusammen mit Mr. Lohrmann und Mr. Naylor für dauernd zurück. Mr. Tautfest wurde unser Managing Direktor, Mr. Lohrmann Manager of Manufacturing und Mr. Naylor Controller. Ihre Familien mußten sie aber noch für sehr lange Zeit in Spa in Belgien zurücklassen, da eine Aufenthaltsgenehmigung für Familien in Neuss oder Düsseldorf von der Militärregierung noch nicht erteilt wurde. Sie fuhren an den Wochenenden immer nach Belgien, um ihre Familien zu besuchen. Zu dieser Zeit wurde Herr Schneider in den Ruhestand versetzt und ich zum Werksleiter ernannt. Schließlich wäre noch, gewissermaßen auch als Höhepunkt, über die Liebesgabensendung zu berichten, die wir Mitte 1947 erhielten. Ein Schiff, vollbeladen mit Lebensmitteln und Kleidung, legte eines Tages im zweiten Hafenbecken an und entlud unter anderem 1 t Speiseöl, 3 t Speisefett, 15 t Hülsenfrüchte, 25 t Nährmittel und große Mengen Kleidung, Arbeitsanzüge und Arbeitsschuhe für die Belegschaft, Wäsche und Schuhe fur die Familien und vor allen Dingen Kindersachen, was wohl am willkommensten war, denn die Kinder waren aus ihren alten Sachen herausgewachsen oder sie waren zerschlissen, und Ersatz gab es einfach noch nicht. Den größten Teil des Jahres liefen die Kinder auf nackten Füßen oder auf selbst gezimmerten und mit Riemen gehaltenen Holzsohlen, sogenannten Kläpperchen (wegen ihres nicht zu überhörenden Geräusches). Nun konnten wir auch wieder darangehen, uns eine Werksküche einzurichten, denn eine solche war natürlich nicht mehr vorhanden. Ab August 1947 gab es fur jeden eine gute warme |
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| Mahlzeit pro Tag, und wenn
etwas übrigblieb, dann durfte nach einer bestimmten
Reihenfolge auch noch etwas mit nach Hause genommen
werden. Obwohl wir alles als Liebesgabe von Chicago geschenkt bekommen hatten, beschlossen wir doch, für das Essen einen kleinen Betrag zu erheben. Dieses Geld ging restlos in eine Sozialkasse, wurde vom Betriebsrat und einem kleinen Ausschuß verwaltet, um Betriebsangehörigen vor allen Dingen aber unseren alten früheren Mitarbeitern - etwas helfen zu können, wenn sie unverschuldet in Not geraten waren. Mit diesen Liebesgaben, der besseren Finanzsituation und der sich auch langsam bessernden Materialsituation es lief zwar noch alles über Bezugsscheine , kam doch bei uns allen der Glaube an eine langsam besser werdende Zukunft auf, und das war meistens noch mehr wert als Bezugsscheine. Dies zeigt sich auch deutlich in der am Schluß beigefügten statistischen Aufstellung über Jahrestonnage an Produktion, wobei immer unser Geschäftsjahr per 31. Oktober und nicht das Kalenderjahr zugrunde liegt. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, wenn man den gewaltigen Sprung vorwärts von 1948 auf 1949 richtig verstehen will, denn mit dem 20 Juni 1948 kam buchstäblich über Nacht das große Wunder in Form der Währungsreform, bei der auch sämtliche Bewirtschaftungsmaßnahmen, mit denen wir über mehr als zehn Jahre gelebt hatten, aufhörten. Es war der Geburtstag der freien Marktwirtschaft, und wie die sich bewährt hat, erlebten wir ja alle zu unserem großen Glück und Vorteil in den folgenden Jahren. Aber auch hier war der Anfang, besonders von der finanziellen Seite aus betrachtet, nicht leicht, denn jeder Einwohner der Bundesrepublik bekam als Starthilfe für sein neues Leben nur DM 40,; und selbst die restlichen 10%, die bei der Währungsreform auf einem eventuell bestehenden Bank- oder Sparkonto für manch einen vorhanden gewesen sein sollten, waren vorerst eingefroren. Trotzdem war jeder glücklich, und ein Arbeitseifer und Wiederaufbauwille entstand, den man heute 20 Jahre später nur noch als sagenhaft bezeichnen kann. NACHKRIEGS -ENTWICKLUNG Plötzlich regte sich auch wieder überall und auf jedem Gebiet die Konkurrenz, was ganz besonders auf unserem Sektor der Fall war. Durch den inzwischen entstandenen Eisernen Vorhang waren wir von unseren bisherigen und großen östlichen Absatzgebieten vollständig abgeschnitten. Noch vorhandene Vorkriegsstatistiken weisen aus, daß die gesamte deutsche Landmaschinenindustrie 65% ihres Vorkriegsinlandabsatzes jenseits des Eisernen Vorhangs gehabt hatte, aber über 90% der Landmaschinen- und Traktoren-Produktionsstätten lagen in Westdeutschland. Hinzu kamen noch viele Neulinge, die vorher in der Rüstungsindustrie tätig gewesen waren und sich nun nach dem Motto gegessen wird immer in der Landmaschinenproduktion versuchten. Da hieß es also bald, mit neuen Konstruktionen auf den Markt kommen, um mit im Spiel zu bleiben. Wir entwickelten einen ganz neuen Pferdemäher, einen sogenannten Center-Drive-Mower, der so viele Vorteile gegenüber jedem anderen pferdegezogenen Mäher hatte, daß er ein längeres Produktionsleben verdient gehabt hätte, als es tatsächlich der Fall gewesen ist, aber die Mechanisierung der Landwirtschaft nahm plötzlich eine so stürmische Entwicklung an, die Zahl der Traktoren stieg von Jahr zu Jahr, daß bald alle pferdegezogenen Maschinen zum Aussterben verdammt waren. |
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| Es war daher für uns von
primärer Wichtigkeit, so schnell wie möglich wieder ins
Traktorengeschäft zu kommen. Leider waren die
Startbedingungen für uns dann alles andere als günstig. Schon vor dem Kriege, also in den 30er Jahren, war unsere gesamte Konkurrenz, mit Ausnahme von Lanz, die einen einzylindrigen Glühkopfmotor bauten, schon zum Dieselmotor übergegangen. Wir waren die einzigen, die noch Vergasermotore bauten, dazu noch eine Art, für die nach dem Kriege der richtige Brennstoff fehlte. Hinzu kommt, daß man in Deutschland aus mancherlei Gründen von jeher sehr auf Dieselmotoren eingestellt war. Unserem ersten Versuch, mit einem gekauften 2-Zylinder-Dieselmotor, Fabrikat MWM Motorenwerke Mannheim , den wir an unser altes F 12 Getriebe anbauten, blieb der Erfolg aus mehreren Gründen versagt, und erst mit einem 4-Zylinder-Dieselmotor eigener Konstruktion kamen wir im Jahre 1950 langsam in Produktion, immer noch unter Verwendung unseres alten F 12 Getriebes, das wir allerdings an allen Ecken und Enden verstärkt hatten, ohne damit uns selbst und unsere Kundschaft restlos zufriedenstellen zu können. Mit aller Macht und allen Mitteln wurde daher an einer neuen Schleppertypenserie gearbeitet, und im Jahre 1953 war es soweit, daß wir mit der sogenannten D-Linie in den Stärken von 14 bis 30 PS auf dem Schleppermarkt zum Durchbruch kommen konnten. Im laufe der Jahre wurden die PS-Leistungen der Motore noch weiter nach oben gebracht, ohne die Motore in ihrer Grundkonstruktion zu verändern. Zum Schluß lagen wir zwischen 17 und 39 PS. Das war aber auch das Maximum, was Motor und Getriebe hergeben konnten, aber der Markt war damit noch immer nicht zufrieden. Er verlangte weit stärkere Traktoren, die der grundlegenden Veränderung der Landwirtschaft, die sich inzwischen vollzogen hatte, angepaßt waren. Mit der neuen D-Linie war es uns allmählich gelungen, den zweiten Platz nach Deutz auf dem Absatzmarkt zu erkämpfen, und die fortlaufend steigenden Produktionsziffern zwangen uns zur Erweiterung unserer Produktionsstätten. Durch die immer stärker vordringenden Mähdrescher sank der Bindegarnbedarf von Jahr zu Jahr, und wir beschlossen daher im Jahre 1955, unsere Bindegarn-Fabrikation einzustellen, um die dadurch frei werdenden Gebäude fur Traktorproduktion zu gewinnen. Rückblickend kann man sagen, daß diese Entscheidung eine sehr gute war, denn schon einige Jahre vor der Stillegung war im Bindegarngeschäft kaum noch verdient worden, und bei unserem räumlich begrenzten Fabrikgelände gab es kaum eine andere Lösung, die Traktorproduktion entscheidend auszuweiten. Außerdem war es ganz ohne Zweifel auch der billigste Weg. Wir haben die D-Linien Schlepper unter ständiger Verbesserung der Konstruktion zwölf Jahre lang gebaut, und in Punkto Qualität erreichten wir einen solchen Grad, daß mir eines Tages ein sehr namhafter Händler sagte, wir seien der Mercedes unter den Traktoren. Das war kein schlechtes Lob für uns, und aus der beigefügten Aufstellung kann man erkennen, daß dieses Lob auch mit den von Jahr zu Jahr steigenden Zahlen begründet war, ja, wir hätten sehr wahrscheinlich noch mehr verkaufen können, aber unsere Produktionskapazität ließ eine |
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| Steigerung ohne größere
Investitionen nicht mehr zu. Darüber hinaus wurden immer
mehr Schlepper in einer PS-Stärke verlangt, die wir in
unserer Baureihe nicht besaßen. Hier möchte ich einmal die Schilderung unserer Traktorenproduktion unterbrechen und berichten, was sich in den 50er Jahren im übrigen Betrieb und besonders in unserer Landmaschinenproduktion ereignet hat. Im Jahre 1953 bekamen wir die Geldbewilligung für ein neues Kesselhaus, denn unsere mehr als 40 Jahre alte Kesselanlage genügte den gestiegenen Erfordernissen überhaupt nicht mehr, von der Wirtschaftlichkeit gar nicht zu sprechen. Wir entschieden uns für eine auf der Braunkohle-Basis arbeitende Hochdruck-Kesselanlage, da Braunkohle für uns preislich der weitaus billigste Brennstoff war. Um den hohen Dampfdruck auf Betriebsdruck herabzumindern, durchläuft der Dampf sogenannte Anzapfturbinen und erzeugt dabei elektrischen Strom. Soviel mir bekannt ist, sind wir das einzige Werk in der IH Organisation, das teilweise Eigenstromerzeugung hat, aber sie macht sich bei uns gut bezahlt, denn die Kosten des Eigenstroms sind nur 50% der Kosten des Fremdstroms unter der Voraussetzung, daß man Dampferzeugung und Dampfverbrauch in Einklang bringt. Doch jetzt zur Landmaschinenproduktion. Um es vorweg zu sagen: Leider hat hier die Entwicklung keinen solch markanten Verlauf genommen, wie in der Traktorenproduktion. Wie ich schon einmal erwähnte, mußte sich die Landwirtschaft nach dem Kriege gewaltig umstellen, um überhaupt lebensfähig zu bleiben. Dies konnte nur durch weitestgehende Mechanisierung erreicht werden, zumal eine Landflucht der Bevölkerung in ganz gewaltigem Ausmaß einsetzte. So haben zum Beispiel zwischen 1950 und heute über 1,5 Mio Arbeitskräfte die Landwirtschaft verlassen und sind in die Industrie abgewandert. Kleinst- und Kleinbetriebe konnten überhaupt nicht mehr bestehen und mußten ihr Land an größere Betriebe verkaufen oder verpachten, und die größeren Betriebe mußten wegen Mangel an Arbeitskräften die Mechanisierung bis zur letzten Konsequenz durchfuhren. Dies hatte nun wiederum eine weitgehende Umkonstruktion aller Landmaschinen zur Folge. Die Einführung der Hydraulik wurde erforderlich, um damit wirklich mit einer Ein-Mann-Schlepper-Bedienung auszukommen. Mit dem Beginn unserer D-Linien-Produktion im Jahre 1953 rechnete unser Verkauf noch mit höchstens 25% Hydraulikausrüstung. Seit Jahren haben wir sie nun schon zu 100% in allen Traktoren-Typen. Wir haben zwar versucht, unsere Landmaschinen so gut zu konstruieren oder umzubauen, daß sie fur den Schlepperzug und Anbau gebraucht werden konnten, so zum Beispiel bei Bindern und Grasmähern, aber unsere Konkurrenz war schneller und gründlicher. 1957 kam man zu der Erkenntnis, daß in Bezug auf Mähdrescherfertigung etwas besonderes getan werden mußte. Da die Fabrikationsanlagen in Neuss für eine Mähdrescherproduktion vollkommen unzureichend waren, bemühten wir uns, eine hierfür geeignete Fabrik mit genügender Abstellfläche zu finden. Zeitweilig, auch mit Unterstützung von Mr. Tautfest, bin ich wohl ein halbes Jahr lang kreuz und quer durch die Bundesrepublik gefahren, um angebotene Objekte auf ihre Brauchbarkeit hin zu überprüfen, und schließlich wurde die stillgelegte Waggonfabrik Fuchs A. G. in Heidelberg gefunden. Der Zustand der Werksanlagen war allerdings katastrophal, dafür die Lage aber um so günstiger, und auch die Größenordnung des Geländes war so, daß sie allen Vorstellungen für die späteren Zeiten entsprach. Die Anlage war preisgünstig und sofort zu haben. |
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| In der ersten Januarhälfte
des Jahres 1958 wurde der notarielle Kaufvertrag
getätigt und mit der Planung sofort begonnen, wobei wir
den Mut zum Abreißen von ungeeigneten oder von zu alten
Gebäuden nie verloren haben. Anfang April wurde mit dem
praktischen Aufbau und Umbauarbeiten begonnen. Eine Frist
von einem Jahr hatten wir uns dafür gesetzt, und
tatsächlich gelang es uns Anfang Mai 1959, den ersten
Mähdrescher von der Montagebahn zu fahren, was durch
unseren zu Besuch weilenden damaligen Präsidenten Mr.
Jenks in Gegenwart von unserem Vicepräsidenten Mr. Camp
und den höchsten Vertretern der Stadtverwaltung
Heidelberg geschah. Natürlich war bei dieser für uns so bedeutsamen Veranstaltung auch unser damaliger Generaldirektor, Mr. Tautfest, zugegen. Leider war es für ihn das letzte große Ereignis in seiner langen IH-Laufbahn, denn im November des gleichen Jahres verstarb er, für uns alle unfaßbar, plötzlich nach einer gerade beendeten Kur. Als Nachfolger kam Mr. M. O. Johnson, der uns aber auch schon wieder Anfang 1966 verlassen mußte, um eine wesentlich höhere Position in der Overseas Division im General Office in Chicago anzutreten. Unter seiner Leitung haben wir die größten Veränderungen durchgefuhrt, die die deutsche IH Organisation jemals in Angriff genommen hat. Sein Nachfolger wurde Mr. B. G. Lasrich, unser früherer Leiter der Verkaufsorganisation, und ich hoffe, daß die deutsche IH Organisation ihn recht lange behält, damit sie mit ihm und unter seiner Leitung die Früchte der großen Mühen vergangener Jahre gemeinsam ernten kann. In den Jahren zwischen 1954 und 1966 haben in der Fabrik-Organisation eine Reihe von Veränderungen stattgefunden. So wurde ich selbst im Jahre 1954 zum Manager of Manufacturing ernannt, und die Leitung des Neusser Werkes übernahm Herr J. Schultze, ein langjähriger Mitarbeiter der IH Organisation. Im Jahre 1958 wurde Herr H. Blum zum Werksleiter von Heidelberg ernannt. 1960 wurde Herr J. Schultze zu unserem Planungsbüro in Brüssel versetzt, und an seiner Stelle trat Herr P. Kamper die Leitung des Werkes Neuss an. Schließlich trat ich am l. Januar 1967 in den Ruhestand, und meine Position übernahm nun Herr Kamper, während seine bisherige Stelle durch Herrn H. Schnass besetzt wurde, und mit ihm beginnt nun eine neue Generation wirksam zu werden. lm Werk Heidelberg fand bis zum Oktober 1959 nur die Montage der Mähdrescher statt, während die Einzelteile noch im Neusser Werk gefertigt wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt waren wir aber mit dem Anlernen der vollkommen neuen Belegschaft so weit, daß wir ab November 1959 die gesamte Fertigung in Heidelberg übernehmen konnten, und im zweiten Jahre brachten wir das Werk schon in die Gewinnzone, denn das Werk war für die ausschließliche Fertigung von Mähdreschern ausgelegt worden. Wir hatten auch alle den Ehrgeiz, zu beweisen, daß Heidelberg jede notwendige Menge an Mähdreschern gut und preisgünstig bauen könnte. Leider sind wir nicht mehr dazu gekommen, diese Vorsätze auch unter Beweis zu stellen, denn schon im Jahre 1962 mußten Entscheidungen getroffen werden, die das Ende der Mähdrescherfertigung in Heidelberg bedeuteten. Zu diesem Zeitpunkt war klar zu erkennen, daß England nicht der EWG beitreten würde. Bis dahin war es unsere Vorstellung gewesen, daß Heidelberg die Mähdrescher für den gesamten europäische Raum, also auch einschließlich England, bauen würde, während unsere britische Schwestergesellschaft umgekehrt für den gleichen Raum die Erdbewegungsmaschinen (Crawler und Payloader) zu bauen hätte. |
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| Diese Vorstellung zerfiel
also plötzlich in ein Nichts, und da man im EWG Raum der
hohen Einfuhrzölle wegen nicht auf das
Baumaschinengeschäft verzichten wollte, mußte eine
Ersatzlösung gefunden werden. Sie bestand schließlich
darin, daß die Mähdrescherfabrikation an Frankreich,
Croix-Werke, abgegeben werden sollte, während Heidelberg
die gesamte Baumaschinenfertigung für den EWG Raum zu
übernehmen hatte. Marktforschungen hatten ergeben, daß
man damit das Heidelberger Werk auslasten würde, nur
haben leider bis heute diese Forschungsergebnisse ihre
Richtigkeit noch nicht bewiesen. Marktforschungen sind heute sicherlich so nötig wie auch jede andere Forschung, nur haben sie nach meiner Meinung einen sehr schwachen Punkt: es steckt zuviel Wunschdenken darin. Diese große Produktionsveränderung ging sehr schnell vonstatten, und schon am 3. Mai 1963 lief die Produktion der Raupe D-85 an und vier Tage später die von H-30 Payloader. Die Fertigung der Mähdreschereinzelteile lief zur gleichen Zeit aus, während die letzten Mähdrescher erst am 25. Mai 1964 montiert und abgeliefert wurden. In der Zeit von 1961 62 haben wir in kleinen Stückzahlen auch noch die kanadische Raupe TF-5 gebaut. Sie fand jedoch nicht viel Anklang, und die Fertigung wurde bald wieder eingestellt. Bei der Raupenherstellung ist es bis heute leider nur bei der einen Type D-85 geblieben, obwohl nach meiner Meinung noch andere, größere Typen dringend benötigt würden. Hingegen vermehrt sich die Typenzahl bei den Payloadern sehr schnell, und heute bauen wir bereits die Typen H- 30, H-50, H-60 und H-65, und im September dieses Jahres kommt noch der H-65 C mit Knicklenkung hinzu. Als nächstes wird noch der H-90 in Betracht gezogen. Das alles genügt aber noch nicht, das Heidelberger Werk voll auszulasten, wenn nicht auch noch die Stückzahlen entsprechend wachsen. Die Qualitätsfrage kann nur unterstützend wirken, denn ich habe noch nie ungefragt so viel Lob über vorbildliche Qualitätsarbeit von unserer Kundschaft zu hören bekommen, wie gerade über die in Heidelberg gefertigten Baumaschinen. Wir bauen zwar zur Zeit in Heidelberg ein großes Zentral-Ersatzteillager, aber das hilft nicht der Produktion. Doch nun wieder zurück zu unserer Traktorenproduktion im Werk Neuss. Ich sagte schon, daß wir 12 Jahre lang mit immer größer werdendem Erfolg unsere D-Linie von 17 39 PS bauten; aber einen Stillstand in der konstruktiven Entwicklung kann sich niemand erlauben, und so war auch unsere Konstruktionsabteilung schon längst dabei, eine ganz neue Schlepperreihe zu entwickeln, die allen Bedürfnissen des Marktes für Gegenwart und naher Zukunft gerecht werden sollte. Es entstand die EWG-Typenreihe, oder auch von uns als Common-Market-Linie bezeichnet. Sie rangiert in ihrer Leistung zwischen 23 und 60 PS mit 3 und 4-Zylinder-Motoren, Kurz und Langhub. Darüber hinaus bauen wir mit den gleichen Einrichtungen und in den meisten Fällen auch mit den gleichen Bauelementen im Motor einen 6-Zylinder Kurz- und Langhub-Motor, der je nach Tourenzahl bis zu 138 PS leistet, Die Getriebe für die unteren Klassen der Traktoren wurden weitgehendst modernisiert, während für die 50 und 60 PS-Klassen ein vollständig neues Getriebe entwickelt wurde. Das Gleiche gilt auch für die Hydraulik, die Vorderachsen und die Verkleidung. Sie wurden für alle Typen grundlegend geändert und heute bauen wir Traktoren, die kaum noch eine Ähnlichkeit mit den früheren haben. Diese neuen Produkte sind, obwohl wir sie erst seit 1 ½ Jahren bauen, so gut von unserer Kundschaft aufgenommen worden, daß wir unseren Marktanteil beachtlich erhöhen konnten und unserem schärfsten Konkurrenten jetzt dicht folgen, während er bis dahin noch einen beachtlichen Vorsprung im Marktanteil von uns hatte. |
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| Dies alles zu erreichen, war
keine leichte Aufgabe, zumal verlangt wurde, daß die
französische Organisation anteilmäßig mit in den
Gesamtplan eingebaut wurde. Die Teilung sah schließlich
so aus, daß Frankreich vom Werk St. Dizier die Getriebe
und vom Montataire-Werk die Dreipunkt-Aufhängung zu
liefern hatte, während die deutsche Organisation vom
Werk Neuss aus die Motoren, die Hydraulik, die kompletten
Vorderachsen und die Radschüsseln mit Felgen zu liefern
hatte. Das Werk Heidelberg wurde der Lieferant aller
Blechteile für die Werke St. Dizier und Neuss. Zu den vorgenannten Schleppertypen bauen wir seit kurzem auch noch einen Schmalspur- Schlepper, der für Weinberg- und Obstkulturen benötigt wird. Zur Zeit ist die französische Landwirtschaft hierin noch der weitaus größere Abnehmer, aber wir hoffen, damit auch auf dem deutschen Markt bald erfolgreich zu werden. Eine solch große Umstellung zu machen, ohne dabei die weiterlaufende Produktion zu gefährden, war nicht leicht, zumal wir zeitweilig sogar in großem Umfange für Frankreich komplette Bauteile liefern mußten, da man dort, wegen Abbruch von Gebäuden, die Produktion an einzelnen Stellen einstellen mußte. Man kann dies nur mit einer ganz genauen und in alle Einzelheiten gehenden Planung erreichen, und hierbei haben wir uns damals das soeben bekanntgewordenen Pert-Systems bedient. Zeitweilig hatten wir hierfür eine ganze Abteilung aufgebaut, die wie ein Generalstab arbeitete, aber ohne dieses Pert-System hätten wir wohl kaum die ganze Umstellung so terminmäßig schaffen können, denn zwischen Beginn und Vollendung der Arbeit standen uns einschließlich der Maschinenbeschaffung nur 18 Monate zur Verfügung. Damit man eine richtige
Vorstellung von dem Gesamtumfang der Arbeit bekommt,
seien folgende Investitionszahlen genannt:
Insgesamt also rd. 88 Mio DM, worin aber noch nicht die Investitionskosten der Schmalspurschlepper enthalten sind und wofür ein weiterer Betrag von DM 6.617.000, erforderlich war. Es wäre ein Irrtum zu glauben, daß dies die gesamte Investitionssumme für den Bau der neuen Schleppertypen darstellt. Die Summen, die Frankreich für seinen Anteil benötigte, müssen noch hinzugerechnet werden. Sie sind mir im Detail nicht bekannt, dürften sich aber in gleicher Höhe halten wir die unsrigen. Mit dieser Investition ist
Neuss nunmehr in der Lage folgende Jahresproduktionen zu
erzielen:
Letzteres kann aber auch mit geringen zusätzlichen Einrichtungskosten auf 28.000 Stück gesteigert werden. Man wir natürlich mit Recht fragen, wo sind denn diese riesigen Summen hauptsächlich investiert worden? Um diese Frage zu beantworten, muß man da beginnen, wo die Produktion |
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| beginnt, zumal wir eine
Firma sind, die von jeher weit mehr in die Eigenfertigung
gegangen ist, als die meisten unserer Konkurrenzfirmen. Durch den Rückgang unserer Landmaschinenfertigung war natürlich auch unser Bedarf an Temperguß stark abgesunken, und wir entschlossen uns daher, schon im Jahre 1960 den noch verbliebenen Bedarf von unserem Schwesterwerk in Croix zu beziehen. Dadurch stand unsere ganze Tempergießerei und deren Nebenanlage leer. Um den durch das neue Programm enorm gestiegenen Graugußbedarf decken zu können, verwandelten wir die unbenutzte Tempergießerei in eine zweite Graugießerei und richteten sie auf Vollautomation mit Elektroschmelzöfen ein. In dieser neuen Gießerei werden fast ausschließlich Motorenteile hergestellt, während die übrigen Gußteile in unserer alten Graugießerei, die nur mechanisiert ist, gefertigt werden. Dieser Gießereiumbau hat alleine ca. 18 Mio. DM beansprucht, aber er mußte sein, und er macht sich auch bezahlt. Als nächstes mußten wir ein neues Stahllager haben, da das alte als Motorenprüfraum benötigt wurde. Dies ist übrigens der einzige Neubau im ganzen Programm, und die Kosten dafür sind nicht so gravierend, wie man leicht denken könnte. Trotzdem haben wir heute ein Stahllager mit Zurichterei, das man als modern bezeichnen kann. Mit Ausnahme des Materials für einige Drehautomaten geht kein Material mehr in Stangenlängen zur Weiterverarbeitung in den Betrieb. In der Gesenkschmiede haben wir nur noch einige Fallhämmer und Gegenschlaghämmer stehen lassen. Alle anderen Hämmer sind durch Schmiedepressen ersetzt worden, die das Mehrfache eines Fallhammers als Stundenleistung haben. Nur so war es möglich, den enorm gestiegenen Bedarf an Schmiedeteilen auf dem vorhandenen Schmiederaum decken zu können. Mit Ausnahme der Kurbelwelle und der Sechs-Zylinder-Nockenwelle, die wir als Rohling kaufen, schmieden wir alle anderen Stahlteile selbst. |
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| (Seite 33 - Ende) Wer unbelastet durch Detail-Kenntnisse diesen Bericht über die Entwicklung der deutschen IH-Organisation seit ihrer Gründung im Jahre 1908 gelesen hat, mag zu der Schlußfolgerung kommen, daß trotz aller politischen und kriegerischen Wirrnisse die Entwicklung der IH in Deutschland einen durchaus positiven Verlauf genommen hat. So zu denken, wäre jedoch ein Trugschluß, denn nicht alles in unserer Entwicklung ist nur positiv verlaufen. Zugegeben, auf dem Sektor des Traktoren- und Motorenbaus haben wir Ziele erreicht, die wir vor 10 Jahren selbst für kaum erreichbar gehalten haben, dafür haben wir aber auf dem Gebiet des reinen Landmaschinenbaus umso mehr verloren. Wir waren bis zum Jahre 1939 ohne Zweifel der größte Landmaschinen-Hersteller in ganz Deutchland und haben nach dem Kriege diese Position von Jahr zu Jahr mehr und mehr verloren und sind heute im Vergleich zu anderen bekannten Konkurrenten bedeutungslos geworden. Wie bedeutsam wir hingegen einmal gewesen sind, zeigt nachfolgende Tabelle :
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| An Mähdreschern haben wir
bis 1959 ganze 523 Stück produziert, und erst im Jahre
1960 erzielten wir durch die neue Produktionsstätte
Heidelberg einen Aufstieg auf 1.965 pro Jahr, und im
Jahre 1961 kamen wir trotz eines allgemeinen schlechten
Verkaufsjahres für Mähdrescher auf 1.709 Stück. Aber
schon im darauffolgenden Jahr sanken wir durch die
Entscheidung, Heidelberg für Baumaschinen freizumachen,
wieder auf 1.371 Stück ab, und im Jahre 1966 haben wir
noch ganze 219 Stück verkauft. Wie die Statistiken des Landmaschinen-Verbandes ausweisen, hatten wir in den Jahren 1936 - 1939 in der Binder-Produktion einen Marktanteil zwischen 26,5 und 30,7 % und standen mit weitem Abstand an der Spitze aller Binder-Hersteller. Berücksichtigt man die Veränderung, die nach dem Kriege in der Landwirtschaft stattgefunden hat, ich meine damit besonders die riesigen Fortschritte in der Mechanisierung, so glaube ich, mit Recht sagen zu können, der Mähdrescher ist nichts anderes als die Weiterentwicklung des Getreide-Selbst-Binders unter Berücksichtigung der veränderten Lage in der Landwirtschaft, genauso wie es ja auch schließlich beim Traktor der Fall gewesen ist. Die Frage erhebt sich also ganz von selbst, was könnte man tun, um hier für uns eine Wende herbeizuführen, denn unser heutiger Marktanteil an Mähdreschern, in Prozentzahlen ausgedrückt, beginnt erst hinter dem Komma Meine Antwort ist, Mähdrescher zu bauen, die der Markt haben will. Mit einer einzigen Type kommt man allerdings nicht aus. Man hat ja auch schließlich beim Binder eine ganze Reihe von Typen zur gleichen Zeit gebaut, also muß man beim Mähdrescher eine ganze Palette von Typen haben, die natürlich in ihrer Grundkonstruktion aus Wirtschaftlichkeitsgründen soweit wie möglich einheitlich sein sollten. Beim Traktorbau machen wir es ja auch nicht anders. Nun kann man ferner sagen, wo haben wir im E.W.G.-Raum denn die Fabrik, die für ein solches Programm groß genug wäre ? Darauf kann man nur antworten, die haben wir nicht, aber man kann hier, wie im Traktorbau, eine Arbeitsteilung vornehmen, und dann haben wir wahrscheinlich schon die notwendigen Voraussetzungen erfüllt, wobei sich natürlich hier und da ein Engpaß zeigen mag, der möglicherweise nur durch einen Ergänzungsbau geschlossen werden muß. Gleiche Katalog-Nummern sollen der Wirtschaftlichkeit halber grundsätzlich nur an einer Stelle fabriziert und mit den anderen Produktionsstätten ausgetauscht werden. Dadurch, daß die Lastwagenproduktion in Heidelberg wieder eingestellt worden ist, und durch das neue Ersatzteil-Depot eine bisher hierfür benutzte große Halle frei wird, hat dieses Werk eine Fläche zur Verfügung, auf der mindestens 3.000 Mähdrescher im Jahre hergestellt werden könnten. Da ein Mähdrescher eine stark saisonabhängige Maschine ist, die nicht das ganze Jahr über gleichmäßig an Händler oder Landwirte abgegeben werden kann, so stehen in Heidelberg auch für diesen Fall die notwendigen Freiflächen zur Verfügung. Dazu ist Heidelberg auch eine relativ staubarme Gegend. Hinzu kommt ferner noch, daß durch den Fortfall des Lastwagen und die bisher wesentlich geringeren Stückzahlen von Baumaschinen als ursprünglich eingeschätzt, im Neusser Werk die alte Graugießerei I nicht mehr ausgelastet ist, im Gegensatz zur neuen Gießerei II, die für die vorgesehene Motorproduktion voll in zwei Schichten benötigt wird. Neuss wäre also in der Lage, den notwendigen Guß für die Mähdrescher zu liefern. Ich glaube, es würde sich lohnen, in dieser Sache eine genauere Überprüfung vorzunehmen. Ein zweiter Fall liegt bei den Messerbalken vor. Wir waren dafür bekannt, mit Abstand den besten Messerbalken zu bauen - und konnten dafür auch einen höheren Preis als die Konkurrenz fordern. Ja, es gab sogar kleinere Schlepperproduzenten, die unsere Messerbalken bezogen, damit sie ihre Schlepper besser verkaufen konnten. Durch die große Umstellung auf das neue und wesentlich größere Traktorprogramm mußten wir die Messerbalken-Fertigung im Neusser Werk einstellen und an das Croix-Werk abgeben. Von diesem Zeitpunkt an ist auch diese gute Geschäft im Absterben, denn während wir im Jahre 1964, dem letzten Jahr der Produktion in Neuss, noch 16.700 Balken der verschiedensten Art gebaut und verkauft haben, ist diese Zahl schon im Jahre 1966 auf 7.828 abgesunken. Grund für diesen erschreckenden Rückgang ist der, daß die Kundschaft nicht mehr mit der Qualität zufrieden ist. Mag sein, daß sie von uns verwöhnt worden war, aber auch im Preis hapert es jetzt, denn die vorerwähnten kleinen Schlepperproduzenten kaufen heute nicht mehr bei uns. Hier muß meines Erachtens die technische und fabrikatorische Seite eingreifen, denn es müßte möglich sein, dies Sache so zu bereinigen, daß die Kundschaft wieder mit Qualität und Preis zufrieden ist und berücksichtigen muß man auch, daß die Auffassung der Kundschaft für Qualität in jedem Lande anders sein kann. Zu beweisen ist es nicht so ohne weiteres, aber ich bin überzeugt, daß dies sich auch auf den Schlepperverkauf günstig auswirken müßte. Ein dritter Fall ist die Selbstfertigung von Frontladern, die an regulären Ackerschleppern gebraucht werden. Seit je kaufen wir diese Zusatzeinrichtungen in Deutschland komplett von der Firma BAAS, die auch eine dominierende Stellung auf diesem Gebiet hat. Der Lader ist gut, aber nicht billig. Hier vertrete ich den Standpunkt, daß, wenn man gute Traktoren konstruieren und bauen kann, man auch ein dazu passendes Frontladergerät entwickeln und produzieren könnte. Ein Gerät, das uns und auch die Kundschaft zufriedenstellt. Das Werk Heidelberg ist wie geschaffen dafür, solche Geräte zu fertigen und auch dazu in der Lage. Der Verkauf hat einen Bedarf von über 2.000 Stück pro Jahr allein im Inland. Dies sind nur die direkten Verkäufe durch uns, wieviel indirekte es gibt, weiß man nicht. Diese drei Punkte mögen genügen, um zu beweisen, wie sehr wir in Puncto Landmaschinenbau im Rückstand sind. Bei anderen ebenso wichtigen Landmaschinenarten wie Sternradwender, Zetter, Kreiselheuer, Feldhäcksler, Heulader, Mist- und Kunstdüngerstreuer sind wir von der Konkurrenz ohnehin glatt überrollt worden. Wenn unsere Bezirksverkäufer einen Händler besuchen, um Orders für Traktoren hereinzuholen, dann könnte man anschließend auch gleich mit über Landmaschinen-Aufträge sprechen. Möglich, daß dadurch Verkaufsbezirke etwas verkleinert und einige zusätzliche Verkaufsleute eingestellt werden müßten, aber unsere Verkaufsorganisation ist so gut aufgebaut, daß dies keine großen Probleme schaffen würde, und unsere gesamten Verkaufsunkosten verteilen sich dabei auf einen viel größeren Umsatz. Darüberhinaus bin ich der Meinung, wir sind es unserem alten weltbekannten Namen, unserer guten und zuverlässigen Händlerschaft und unserer treuen Kundschaft einfach schuldig, so zu denken und auch entsprechend zu handeln. Mit diesem kurzen Nachwort bin ich eigentlich am Ende meiner Erzählung und Betrachtung angelangt. Es war ein langer Rückblick in die Vergangenheit und ein kurzer Ausblick in die nächste Zukunft. Über sie mache ich mir in Bezug auf die IH-Organisation in Deutschland keine Sorgen. Die Vergangenheit zu bewältigen war weitaus schwieriger, als es sein wird, die Zukunft erfolgreich zu gestalten. W. Prinz |
| © matbush November 2011 |